Mittwoch, 27. Oktober 2010

Außer Konkurrenz

Ich frage Diane, ob sie abends den Tatort mit mir gucken will. Ihre Mattscheibe ist zwar eher klein, aber zu zweit geht es gerade so. Sie antwortet ich könne ruhig anmachen, sie weiß noch nicht, ob sie sich dazugesellen wird. Da ruft Schenny an und fragt, ob wir den Tatort mit ihr gucken wollen. Schenny hat einen Superflachbildschirm in beeindruckender Größe. Ich nicke heftig. Mein Mobiltelefon vibriert und Mary fragt, ob ich den Tatort mit ihr gucken will. Jetzt bin ich schon verabredet und da es draußen Blätter stürmt, sage ich den weiten U-Bahnersatzverkehrweg auf den Prenzlauer Berg ab. Neulich bin ich schon mal nach dem Tatort pitschnass geworden. Aber Mary hat eine köstliche Pasta mit Spinat-Knoblauch-Soße gekocht und wir haben auf ihrer schicken Wohnlandschaft Schampus getrunken. Der Tatort spielte im Künstlermilieu Berlin und wir haben wie wahrscheinlich alle anderen den Schnellratetest gemacht, wer zuerst die Straßen erkennt. Zum Nachtisch haben wir frische Ananas gefuttert. Beim Kieler Tatort vor Schennys Flachbildschirm schlürfen wir Kürbissuppe mit gerösteten Kürbiskernen und einem Salat aus Rote Beete, Apfel und Petersilie. Der Sauvignon Blanc ist fast orange, was uns merkwürdig vorkommt, aber nicht auf den Geschmack durchschlägt. Der Tatort ist öde.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Brigade Roter Kochlöffel

Die Politisierung unserer Kochgruppe nimmt von Essen zu Essen zu. Im Sommer haben wir über die Abwehr feindlicher Nachbarn durch Natodraht und Elektrozäune debattiert und den ästhetischen Gesamteindruck der Pflanzenkübel auf der Dachterrasse verteidigt, schließlich sind die Kräuteranpflanzungen Teil unserer angestrebten Subsistenzwirtschaft. Nun scheint die Bezeichnung Kochgruppe als viel zu harmlos, ja geradezu anbiedernd an das Patriarchat und seine Zuweisung des weiblichen Geschlechts in die Küche. Dabei sind wir doch Teil einer Wirtschaftseinheit, die ihre Aufgabe im Produktionsprozess ausführt. Und das autonom und selbstverwaltet. Den Wettbewerb zwischen den Küchenkombinaten lehnen wir natürlich ab und es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Heute ist das eine dampfend heiße Hühnersuppe als Einstieg mit Hühnerklein aus artgerechter Haltung, Rucolasalat mit Orangensenfsoße aus der LPG, ein phantastisches Quarksoufflé, das aussieht wie die verschneiten Gipfel der östlichen Kaparten, selbstgebackene Mandelkekse und Saale-Unstrut-Wein aus handbewirtschafteter Steillage. Nottie sagt wir sollen uns in Rote Kochlöffel umbenennen; sie ist die Radikalste von uns.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Was aus uns geworden wäre

Brunett wollte eigentlich Meeresbiologie studieren. Vielleicht wäre sie dann anstatt mit uns in der Koch- in einer Kombüsengruppe zum Beispiel auf der MS Greenpeace. Sie bezweifelt das allerdings. Sie meint sie wäre eher Wasserschildkrötenpflegerin im Sealife Göttingen. Wir sind zu Gast bei der Gräfin. Sie kredenzt Gutedel aus der Heimat, temperierten Kartoffelsalat ohne Mayonese und Brühwürstchen mit zwei Sorten Senf, scharf und nicht scharf. Dieses deftige Abendessen ist heute genau das Richtige. Garstige einstellige Celsiusgrade hat es draußen und im Laufe des Tages ist diese Kälte unsere Beine hoch gekrochen. Auch der Gedanke an lauwarme Delfinbecken hat das Frösteln nicht vertrieben. Das Essen hat rein gar nichts mit dem Meer zu tun und trotzdem reden wir den ganzen Abend über nichts anderes als Lagunen, Vaporettos, Hochwasser und Venezuela. Und Gorleben und die Wasserwerfer. Und Naumburg an der Saale. Und Brandenburg an der Havel. Aber auch das Dessert ist ohne Wasser: Ein weißer Traum aus Sahnequark, Ananas und Amarettini, deren Bitterstoffe als kleine krümelige Pünktchen daherkommen und uns völlig überraschen. Jetzt ist uns warm, auch ums Herz.

Montag, 11. Oktober 2010

Sieben

Alle sind da: Diane ist zurück aus Marrakech, die Gräfin von Venedig, Nottie aus Salecina, Schenny aus irgendwo in Polen, Brunett aus Göttingen, Claire aus Köln und ich war kurz in Linz das Wochenende. Wir waren noch nie sieben und so ist bei Schenny die Bude voll. Sie hat einen großen ovalen Tisch, Rot und Weißwein und das wunderbar weiche Wasser aus dem Filter, das sich sofort mit unseren Magenmolekülen vermischt. In diese harmonische Melange mengen sich Halbmonde aus Nudeln und Nüssen, nachdem wir ihre Optik angemessen bewundert und ihrem Aroma reichlich Parmesan hinzugefügt haben. Es duftet nach Knoblauch und das Stimmengewirr unserer Tischgemeinschaft schwillt an und ebbt wieder ab, je nach dem, wer sich die Wortführung schnappt. Beim Eis mit Himbeeren geht dann plötzlich ein Atlas herum und wir schauen alle auf den Punkt, wo Timbuktu liegt. Wollen wir auf Kamelen durch die Wüste reiten, so als Kochgruppenexkursion? Kochen und essen am offenen Feuer wäre durchaus eine Bereicherung unser vielfältigen Zubereitungsmethoden, aber vielleicht sollten wir zunächst mal anfangen mit japanisch und das auf dem Boden hocken im Haus üben, bevor wir ins Feld gehen. Nottie sagt, sie will nicht in die Wüste, die Gräfin schließt sich ihr an und mit mir sind wir schon drei, die keinen Bock auf Timbuktu haben.


Dienstag, 5. Oktober 2010

Was gibt` s zu essen?

Auch wenn Nottie den irrationalen Momenten unserer Kochleidenschaft kein esoterisches Fünkchen zugesteht und ich bei den anderen nicht sicher bin, wie sie die magischen Momente unserer gemeinsamen Essen interpretieren, sind sie mehr als die Summe ihrer Teile, mehr als bloße Nahrungsaufnahme und mehr als einfach Tischgespräche. Unbestritten flüchtig hinterlässt der Geschmack unserer Gerichte durch zeitliche, räumliche, kontextuelle und temperaturspezifische Verläufe kleine großartige Eindrücke, die so ganzheitlich sind, dass ich ihnen sogar die Gänsehaut auf meinen Unterarmen zuordne. Natürlich kochen wir alle mit Liebe. Doch Geschmack ist nur möglich mit Konzentration auf die Zunge und einem elaborierten Sprachvermögen, der das Erlebte ästhetisch sorgsam in Worte kleidet. Ist essen elitär? Neben gut, sehr gut und interessant gibt es eine enorme Bandbreite an Wahrnehmungsmöglichkeiten, die sich individuell durchaus unterscheiden können, jedoch nicht allzu sehr unterscheiden sollten, wenn es darum geht, blumige Noten, Stufen von Schärfen oder cremige bis sirupartige Süßen herauszuschmecken und sich mit dezentem Kopfnicken gegenseitig zuzustimmen. Klar wird spätestens jetzt, dass das Essen der kreative Akt ist und nicht das Kochen, ohne die Leistung der Köchin herabwürdigen zu wollen. Diese Herangehensweise über den reflektierten Geschmack liegt implizit in unserer Kochgruppe. Das Gute ist, dass wir nicht darüber reden. Wir reden über ganz andere Sachen und der Geschmacksfilm läuft nur im Hintergrund ab. Mehrdimensionale Magie! Nottie, hol mich wieder runter!